Tuesday, September 17, 2013

Der Querverbinder: Marco Casagrande erhält European Architecture Prize 2013




Der Architekt, Umweltkünstler, Philosoph und Autor Marco Casagrande erhält den European Prize for Architecture 2013. Der Finne mit italienischen Wurzeln ist ebenso bekannt für sein interdisziplinäres Engagement in Architektur, Stadtplanung und Umweltbelangen wie für seine poetischen Querverbindungen zur Kunst. 

Marco Casagrande mit Sandworm, Belgien.

Schon zu Beginn seiner Karriere machte Casagrande, der 1971 als Sohn einer wohlhabenden italienischen Zirkusfamilie in Turku zur Welt kam, mit unkonventionellen Projekten auf sich aufmerksam. Sein 1997 unter Pseudonym erschienener Anti-Kriegsroman „Hitchhikers Road to Mostar“ über den Bosnischen Bürgerkrieg entzündete in Finnland eine Kontroverse ob seines philosophisch-gewalttätigen Inhalts. Im Jahr 2000 wurde Casagrande bei der Architekturbiennale in Venedig auch dem internationalen Publikum ein Begriff: Zusammen mit seinem damaligen Partner Sami Rintala verpflanzte er für „60 Minute Man” einen Eichenwald auf einem verlassenen Grundstück. Als Humus diente ihnen exakt die Menge kompostierten Mülls, die sich in Venedig innerhalb einer Stunde ansammelt. 

Treasure Hill

2003 beendete Casagrande sein „Treasure Hill Project” in Taipeh, im Zuge dessen eine illegale Bauernsiedlung in ein experimentelles urbanes Labor für umweltbewussten Städtebau umgewandelt wurde. Das Projekt wurde kontrovers diskutiert, bescherte ihm jedoch eine Professur an der Taiwaner Tamkang Universität. 

Casagrandes Leitsatz „Es gibt keine Realität außer der Natur” spiegelt sich in unterschiedlichen Projekten und Ansätzen wieder, von tausend weißen Fahnen, die er aus Bettlaken einer psychiatrischen Anstalt fertigte und über den Hang des finnischen Koli verteilte, um „den Berg zu heilen“ („1000 White Flags“, unser Bild), bis zu seinem „Bug Dome“, einem Insektenhotel, das er 2009 für die Shenzhen Hong Kong Biennale entwarf und das zugleich als Kneipe für illegal Beschäftigte gedacht war. Jede Architektur, so die Position, die er verficht, wächst aus der Natur und kehrt irgendwann zu ihr zurück. Zuletzt demonstrierte er das eindrucksvoll an der belgischen Küste bei Wenduine, wo er mit „Sandworm“ eine schlauchartige Raumstruktur aus Weidenästen an den Strand pflanzte. 

Sandworm

Urbane Räume sind im Verständnis von Casagrande übereinander gelagerte, fließende Energiefelder, die sowohl das Verhalten der Bewohner beeinflussen, als auch die weitere Entwicklung der Stadt bestimmen. Mit punktuellen Manipulationen versucht er, diese „Energieströme“ umzuleiten und damit nachhaltige neue Strukturen für postindustrielle Städte zu schaffen. Den Fortbestand dieser „organischen Maschinen“ sichern dabei in einem anhaltenden Prozess der Zerstörung und Neugestaltung die Bewohner selbst, die Casagrande als „anarchistische Gärtner“ betrachtet. Seit 2010 wird Casagrandes Zerstörungstheorie in Kooperation mit dem Sustainable Global Technologies Centre der Aalto University an der Ruin Academy in Taipeh multidisziplinär erforscht. 

Ruin Academy

„Marco Casagrande gehört zu jener neuen Gruppe europäischer Architekten, die die traditionellen Grenzen ihres Fachs erweitert haben … und Architektur auch als Skulptur und Umweltkunst begreifen”, sagte der Finne Christian Narkiewicz-Laine, Präsident des Chicago Athenaeum, über den Architekten. „Er bezieht [in sein Architekturverständnis] auch Nachhaltigkeit, das Recht der Öffentlichkeit auf angemessene Architektur und eine Stadtplanung, die menschliche Werte, Würde und Selbstvertrauen reflektieren, mit ein.“ Casagrande sei deshalb „ein Vorbild für heutige Nachwuchsdesigner, ein Architekt, der visionär, ästhetisch und sozial Verantwortung übernimmt.“




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